Philosophie bedeutet ihrem Wortsinne nach Liebe zur Weisheit. Da sollte man meinen, dass sie viele Freunde hat. Denn wer möchte nicht weise sein? Tatsächlich können sich mit der Philosophie aber nur wenige anfreunden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.
Schon die philosophische Terminologie – eine Ansammlung zumeist abstrakter Ausdrücke für Dinge, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen – schreckt viele Interessierte ab. Und die Philosophen selbst sind auch nicht gerade eifrig darin, ihr Fach einem breiteren Publikum schmackhaft zu machen. Der philosophische Diskurs ist bis auf wenige Ausnahmen eine akademische Veranstaltung geblieben. Dabei hat zuletzt die Rede von Jürgen Habermas, des diesjährigen Friedenspreisträgers, bei der Preisverleihung unterstrichen, wie wichtig philosophische Reflexionen für die Substanz etwa der Debatte um den religiösen Fundamentalismus sind.
Auch Martin Seel, Philosophieprofessor in Gießen, will nicht nur von seinen Studenten wahrgenommen und verstanden werden. Deshalb hat er für „Die Zeit" von 1998 bis Mai 2001 44 philosophische Kolumnen verfasst, die jetzt unter dem programmatischen Titel „Vom Handwerk der Philosophie" als Buch erschienen sind. Programmatisch deshalb, weil der Autor Philosophie nicht in erster Linie als Ausdruck eines genialischen Geistes versteht, sondern als Arbeit am Begriff, die wie jede andere Arbeit auch nicht ohne handwerkliche Fertigkeiten und Fähigkeiten auskommt. Als (Handwerks-)Meister seines Fachs versteht es Seel, philosophische Fragestellungen und Probleme dem Leser mit wenigen Sätzen verständlich zu machen, weshalb es kein Nachteil ist, dass er als Form der Mitteilung kleinere Rezensionen von Büchern gewählt hat. Die knappe Form kommt auch seiner Fähigkeit zur pointierten Formulierung entgegen. Die Erfahrung der Bilder innerhalb und außerhalb der Kunst fasst Seel beispielsweise so zusammen: „Sie führt das Wissen, das unser Sehen leitet, in ein Sehen, das sich in keine Ordnung des Wissens fügt."
Das erinnert im Sujet und in der Diktion an Adorno, und es ist daher nicht überraschend, dass Seel in einer seiner Kolumnen dessen „Minima Moralia" bespricht. An dem Philosophen der „Frankfurter Schule” fasziniert ihn zwar die Radikalität eines Denkens, das die Möglichkeiten des Lebens vom Unmöglichen her auszuloten versucht, er selbst zieht es aber vor zu erkunden, „wie wir uns in unserem Leben gegeben sind" – im Schnittpunkt des Wissens und Könnens, der Kunst sowie unserer Ordnungen und Institutionen. Die Kolumnen handeln daher von allen Bereichen der Philosophie – von ethischen, ästhetischen, sprachphilosophischen und erkenntnistheoretischen Fragestellungen, wobei letztere einen Schwerpunkt bilden.
Wer sich jemals mit Erkenntnistheorie beschäftigt hat, also mit Fragen nach der Erkennbarkeit der Welt, weiß um die Schwierigkeit dieser Materie, aber auch, wie faszinierend und spannend das Nachdenken darüber sein kann – gerade weil es so weit weg ist vom Alltagsdenken. Dem Autor dabei zu folgen, wie er Konturen einer Erkentnistheorie entwickelt, die zwischen den gegensätzlichen Positionen von Konstruktivismus und Realismus vermittelt, ist deshalb nicht nur eine intellektuelle Herausforderung, die aber auch für den philosophischen Laien zu bestehen ist, sondern auch ein Lesevergnügen – ein ungetrübtes dazu, weil Martin Seel ein glänzender Stilist ist.
Martin Seel: „Vom Handwerk der Philosphie”. 44 Kolummnen. Verlag Carl Hanser in München. Edition Akzente. 168 Seiten, 29,80 Mark
(Erschienen im „Darmstädter Echo“ am 5. 11. 2001)
„Darmstädter Echo” am 5. 11. 2001)