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„(. . .) jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um, durch Züchtung und anderseits durch Vernichtung von Millionen Mißrathener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zu Grunde zu gehen an dem Leid, das man schafft, und dessen Gleichen noch nie da war!" „„Die Schwachen und Mißrathenen sollen zu Grunde gehen: (. . .) Und man soll ihnen noch dazu helfen." Sätze wie diese aus der Feder des Philosophen Friedrich Nietzsche  scheinen den schon früh geäußerten Verdacht von dessen geistiger Nähe zum Nationalsozialismus aufs Schönste zu bestätigen.

Wozu dann noch ein ganzes Buch zum Fall Nietzsche schreiben, wie es Taureck getan hat? Weil der Fall so einfach nicht liegt. Das hängt damit zusammen, dass Nietzsche kein systematisches Werk hinterlassen hat, das man als Theorie zur Praxis des Germanofaschismus betrachten könnte. Hinzu kommt, dass seine in aphoristischer Form verfassten Schriften, untersucht man sie im Hinblick auf relevante Aussagen zum Faschismus, kein einheitliches Bild ergeben. Mehr noch: Nietzsches Vorstellungen etwa zur Rassenontologie, zum Aufbau einer neuen Herrenrasse in Europa oder seine Vernunftkritik münden, wie in Taurecks Buch durch akribische Textanalyse belegt wird, in Widersprüche. Andererseits kann auch die uns heute bizarr vorkommende Forderung Nietzsches, dass Juden und Deutsche die neue Herrenrasse in Europa bilden sollen, nicht die tiefe Affinität zwischen seiner und der faschistischen Gedankenwelt verdecken. Dafür wiederum sind seine Vorstellungen zum Vernichtungskrieg, zu Massenausrottungen oder zum Macht- und Zweckstaat, in dem die Besten über die Masse der Schwachen herrschen sollen, zu eindeutig.

So überrascht es nicht, dass Taureck das Fazit zieht, Nietzsches politische Philosophie sei Protofaschismus, sei zum Faschismus hin geöffnet. Ein Ergebnis, das nicht nur den französischen Nietzscheanern, die in der Auseinandersetzung mit dem deutschen Philosophen das antifaschistische Konzept einer normentbundenen Individualität und Sozialität verfolgen, missfallen dürfte. Doch Taureck hat mit diesem Buch potenziellen Kritikern hohe Hürden errichtet, weil es ausgesprochen sorgfältig, zuweilen fast schon gutachterlich gearbeitet ist,– was nur bei wenigen Passagen die spannende Lektüre etwas beeinträchtigt.
 
Bernhard H. F. Taureck: Nietzsche und der Faschismus. Reclam Verlag Leipzig 2000. 304 Seiten. DM 24.

(Erschienen im „Darmstädter Echo“ am 8. 1. 2001)