In einer Zeit, in der alle Welt von Kapitalismus redet und nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus nicht wenige seine Zukunft in um so leuchtenderen Farben malen, ist es vielleicht ganz reizvoll, einmal zurückzublicken: auf die Ursprünge dieses unbestritten effektivsten Wirtschaftssystems, auf das jetzt so viele bisher Zukurzgekommenen ihre Hoffnungen setzen und das die Menschen in der ehemaligen DDR derzeit eher das Fürchten lehrt.
Half die Sparsamkeit früher Unternehmer dem Kapitalismus auf die Sprünge, begann er mit dem, was Marx als ursprüngliche Akkumulation bezeichnet hat, oder war es, nach Max Webers Meinung, die protestantische Ethik, die den Geist des Kapitalismus vor allem beflügelte?
Eine ganz andere Erklärung liefert der Soziologe Werner Sombart in seiner 1912 zuerst erschienenen Schrift „Liebe, Luxus und Kapitalismus”, die der Wagenbach-Verlag in einer preiswerten Taschenbuchausgabe 1983 einem breiteren Leserkreis wieder zugänglich gemacht hat. Der etwas reißerisch anmutende Titel sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sombart mit diesem Buch, das eine Ergänzung seines Hauptwerkes „Der moderne Kapitalismus” darstellt, einen ebenso ernsthaften wie inspirierten Erklärungsversuch zur Genese des Kapitalismus vorgelegt hat. Dessen überraschende Pointe ist, dass er ihn aus dem Geist der Verschwendung, dem Bedürfnis nach Luxus entstehen sieht, wie es insbesondere an den Fürstenhöfen des 17. und 18. Jahrhunderts kultiviert wurde. Verdankt sich der Kapitalismus, Inbegriff ökonomischer Vernunft, also recht eigentlich gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen unvernünftig gewirtschaftet und hauptsächlich Nichtnotwendiges, das nach allgemeinem Verständnis den Luxus kennzeichnet, produziert wurde? Fürwahr eine schöne Ironie der Geschichte, wenn es sich tatsächlich so verhielte.
Nicht minder überraschen mag, dass Sombart dieses mit mittelalterlich-handwerklicher Produktion nicht mehr zu befriedigende Luxusbedürfnis auf einer im 13. Jahrhundert beginnenden Wandlung des Geschlechterverhältnisses basiert, die (freie, „illegitime”) Liebe und Ehe auseinandertreten und in der Folge einen als Kurtisane, Konkubine oder Maitresse bezeichneten Frauentypus entstehen lässt, der sich nicht nur als Meister der Liebeskunst, sondern auch als entscheidender Förderer des Luxus erweist. Somit kann Sombarts Erklärungsansatz auf die etwas vereinfachte Formel gebracht werden: ohne freie Liebe keine Kurtisane, ohne Kurtisane keinen Luxus, ohne Luxus keinen Kapitalismus – oder in seinen eigenen Worten: „So zeugte der Luxus, der selbst, wie wir sahen, ein legitimes Kind der illegitimen Liebe war, den Kapitalismus.”
Die eine Monokausalität zwischen Luxus und Kapitalismus nahelegende Formulierung sollte indes nicht allzu wörtlich genommen werden. Denn wie Sombarts andere Einzelstudien belegen und wie er im Vorwort zu diesem Buch klarstellt, spielt der Luxus für ihn keine exklusive Rolle bei der Herausbildung kapitalistischer Strukturen. Einen wesentlichen Einfluss darauf schreibt er auch anderen geschichtsmächtigen Kräften wie den Juden und dem Krieg zu.
Wie immer der Anteil des Luxus am Entstehen frühkapitalistischer Warenproduktion gewesen sein mag – dass er eine marktbildende Funktion gehabt hat, ist angesichts der von Sombart aufgebotenen Belege kaum zweifelhaft und war jedenfalls auch die Meinung vieler Ökonomen zu dieser Zeit, darunter der bedeutende Kapitalismustheoretiker Adam Smith. Aber nur Sombart ist so weit gegangen, daraus eine kausale Beziehung zwischen Luxus und Kapitalismus abzuleiten. Auch wenn er dafür gewichtige Gründe ins Feld führen kann – mit letzter wissenschaftlicher Sicherheit lässt sich diese Kausalität wohl nicht beweisen. Dagegen sprechen sowohl die außerordentliche Komplexität gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Formationsprozesse als auch die Interdependenz konstitutiver Faktoren.
Uneingeschränkte Anerkennung verdienen hingegen die Einsichten, die Sombart über das kulturelle Beziehungsgeflecht des Feudalismus vermittelt – etwa wenn er den Zusammenhang von im Klima liberaler Lebensauffassung gedeihender Sinnenfreude und Luxusentfaltung oder die ausschließliche Orientierung der durch frühkapitalistische Produktion der Luxusgüter zu Reichtum gekommener Bürger an den kulturellen Normen des Adels überzeugend nachweist. Daneben gebührt ihm das Verdienst, die kulturprägende Funktion der Frauen im feudalen Lebenszusammenhang dokumentiert zu haben, wie sie sich exemplarisch in der Figur der Kurtisane zeigt, die nicht nur für die Entfaltung des Luxus verantwortlich war, sondern auch dessen Formen maßgeblich bestimmte. Vielleicht handelt es sich dabei aber auch um eine durchaus zweifelhafte Anerkennung der Frauen, bedenkt man, dass Sombart ihnen im Wesentlichen genau solche Attribute und Aktivitäten attestiert, die, dem männlichen Vorurteil zufolge, als typisch weiblich gelten. So kann der Eindruck entstehen, als ob die geschichtliche Leistung der Frauen einzig darin bestanden hätte, im Luxusrausch das Geld zu verschwenden, das sie den Männern mit Hilfe ihrer sinnlichen Reize zuvor entlockt haben. Dass Sombart bei aller wissenschaftlicher Strenge und Objektivität nicht ganz frei war vom männlichen Blick auf Frauen, findet seine Bestätigung auch durch die Wahl der Vokabel „Weibchen”, mit der er stets die luxusheischenden Frauen bezeichnet.
Solche minimalen Irritationen tun jedoch der Lesbarkeit der spannend und weithin glänzend geschriebenen Studie keinen Abbruch, die auch höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird. Dafür sorgen allein schon das umfangreiche Daten- und Zahlenmaterial sowie die Beschreibungen aus zeitgenössischen Quellen, mit denen die kulturhistorischen und wirtschaftsgeschichtlichen Analysen unterfüttert sind. Deren Schwerpunkte sind zum einen die höfische Gesellschaft in frühkapitalistischer Zeit, die Großstadt als Entstehungsort des Luxus und die Säkularisation der Liebe, zum anderen Begriff, Struktur, Geschichte und Formenwandel des Luxus sowie dessen Einfluss auf Handel, Landwirtschaft und Industrie. In summa formen sie ein anschauliches, lebendiges und zugleich begrifflich differenziertes Bild von Wirtschaft und Gesellschaft des Feudalismus, das durch den Verzicht auf jegliche bürgerliche Moralisierung der Verschwendungssucht und des Maitressentums zusätzliche Tiefenschärfe erhält. Es trifft deshalb nicht zu, was Sombarts Fachkollegen, für die kulturelle Phänomene kein Thema waren, an seinen Arbeiten kritisiert haben: dass sie mehr Kunst als Wissenschaft seien. Als ob die Wissenschaft nicht der kunstvollen Synthese und der Interpretation der Fakten bedürfte, um Verstehen zu wecken und verstanden zu werden. Mit „Liebe, Luxus, Kapitalismus” ist Werner Sombart beidem gerecht geworden.
Sein Buch ist darüber hinaus von eigentümlicher Aktualität, weil seine Analyse des Frühkapitalismus eine kulturelle Triebdynamik zutage fördert, die auch und gerade den voll entwickelten Kapitalismus in Schwung hält. Wer würde mit Blick auf unsere Konsum- und Überflussgesellschaft, in der nicht nur die Luxusproduktion auf vollen Touren läuft, sondern auch fast jede Werbung für Luxusgüter nicht mehr ohne sexuelle Anspielung meint auskommen zu können, dem widersprechen wollen? Also scheinen sie doch zusammenzugehören: die Liebe, der Luxus und der Kapitalismus.
Werner Sombart: „Liebe, Luxus und Kapitalismus”, Berlin 1983, Verlag Klaus Wagenbach, 203 Seiten, 14 Mark.