Daß ein Gebäude verhüllt und dieses als ästhetische Aktion gedeutet wird, geschieht in Deutschland nicht alle Tage. Verständlich daher, dass im Vorfeld von Christos Aktion der Reichstagsverhüllung fast täglich in den Medien darüber berichtet wurde.
Diese durchaus gewünschte starke Medienpräsenz hat dazu geführt, dass des eigenwilligen Künstlers Aktion in aller Munde ist und heftigst darüber gestritten wird: im Feuilleton, Hörfunk, Fernsehen und – nicht zu vergessen – auch an deutschen Stammtischen. Denn dieses Thema ist geradezu prädestiniert, an Stammtischen verhandelt und abgefertigt zu werden. Denn moderne Kunst, und um solche handelt es sich hier zweifellos, scheint die damit nicht vertrauten Menschen seltsamerweise fast mehr zu erregen, als wenn Menschen infolge eines Krieges oder anderer Katastrophen umkommen. Zugegeben, der Vergleich ist vielleicht etwas überzogen. Für überzogen halte ich allerdings auch, was aus unberufenem Mund derzeit über die Reichstagsverhüllung laut wird. Da ist der Vorwurf, der Künstler sei ein Spinner, fast schon die harmloseste Art, sein Unverständnis oder sogar Abscheu über dessen Tun auszudrücken. Denn in den meisten Urteilen zeigt sich unverhüllt der blanke Hass.
Schon der Versuch Christos, seine Aktion als Kunst zu begründen und zu rechtfertigen, stößt in großen Teilen der Bevölkerung auf völliges Unverständnis und entschlossene Ablehnung. Für sie ist und bleibt Kunst eben immer nur das eine: der röhrende Hirsch über dem Sofa, die mandeläugige Schöne auf dem Kaufhausbild oder ein realistisches Landschaftsgemälde. Über moderne, abstrakte Kunst hingegen sagen sie, dass sie von ihren Kindern stammen könnte, und haben damit ihr Verdammungsurteil gesprochen. Da hilft es auch wenig, wenn bekannt wird, dass Christo sein Projekt selbst finanziert, mithin des Steuerzahlers wertvolles Geld diesmal nicht verschwendet wird. Es ist die Kunst selbst, die anstößt, indem sie sich als Kunst behauptet und damit das konventionelle, leicht verstaubte Kunstverständnis auf den Kopf stellt. Da scheint fast zwangsläufig auch der Versuch des Künstlers zum Scheitern verurteilt, ungewöhnliche Kunst kunstfernen Menschen näherzubringen.