Dass Korrektoren ihre Abteilung nach der Art ihrer Tätigkeit „Korrektur" und nicht, wie es richtig wäre, „Korrektorat" nennen, scheint nicht unbedingt für diese Abteilung zu sprechen, deren Aufgabe das Aufspüren und Beseitigen des Falschen in der Sprache ist.
Tatsächlich hat das Korrektorat im Zeitungsverlag nicht eben den besten Ruf, findet seine Arbeit nicht die rechte Anerkennung. Im Gegenteil: Der Korrektor muss sich für jeden gedruckten Fehler in der Zeitung beschimpfen lassen, hat er aber seine Arbeit gut gemacht, denkt keiner an ihn. Dem entspricht seine negative Ausnahmestellung in der Zeitungsproduktion. Das Korrektorat ist im Unterschied zu allen anderen an der Produktion der Zeitung beteiligten Abteilungen die einzige unproduktive, das heißt: eigentlich entbehrlich. Die Zeitung könnte auch unkorrigiert erscheinen, niemals jedoch, wenn die Zeitungstexte nicht geschrieben, umbrochen und gedruckt würden.
Daß es den Korrektor dennoch gibt, verdankt er dem Umstand, dass Fehler in der Zeitung nicht nur den Leser ärgern, sondern auch bestimmte Texte unbrauchbar machen: die Anzeigentexte. Stimmt eine Telefonnummer nicht und der falsch angegebene Telefonkunde wird den Tag über mit unerwünschten Anrufen belästigt, kostet dies nicht nur seine Nerven, sondern den Verleger auch viel Geld. Er muss eine kostenlose Ersatzanzeige schalten. Um dies zu vermeiden, lässt er für gutes Geld Korrektoren die Fehler finden, die in der täglichen Hektik der Zeitungsherstellung in großer Menge anfallen. Nicht immer sind sie dabei so erfolgreich, wie es von ihnen erwartet wird. Aber auch nicht immer sind sie schuld daran, wenn dennoch fehlerhafte Anzeigen erscheinen. Auch nach der Korrektur der Anzeigentexte lauert noch die ein oder andere Fehlerquelle.
Etwas anders und komplizierter liegen die Dinge in Bezug auf die Korrektur redaktioneller Texte. Hier bedeuten Fehler nicht unmittelbar einen wirtschaftlichen Verlust. Er träte erst dann ein, wenn die Leser wegen zu vieler Fehler in der Zeitung in beträchtlicher Anzahl auf deren Kauf verzichteten. Doch eine solche Reaktion ist eher unwahrscheinlich, wie die zunehmende Zahl von Tageszeitungen beweist, die sich ein Korrektorat für redaktionelle Texte nicht mehr leisten, eine entsprechend hohe Fehlerquote aufweisen und dennoch ihre Leser finden. Wie ist das zu erklären? Wenn tendenziell alle Zeitungen ein annähernd gleiches Maß an Fehlern enthalten, bleibt dem Leser ja auch nichts anderes übrig, als sich mit diesem Missstand abzufinden. Zudem ist nicht auszuschließen, dass mit der rasanten Ausbreitung der Bildmedien die Ansprüche an die Qualität des gedruckten Wortes bei immer mehr Menschen sinken werden.
Doch als Zeitungsverleger darauf zu setzen, wäre dem Leser gegenüber fast schon zynisch und käme überdies einer Aufgabe des Anspruchs des Verlages als ein der Kultur verpflichtetes Unternehmen gleich, ein gut lesbares Produkt auf den Markt zu bringen, auch wenn es am nächsten Tag bereits veraltet ist. Vielleicht noch mehr gilt dies für den Redakteur, der ein genuines Interesse daran hat, dass seine Texte, auf die er viel Mühe und Sorgfalt verwandt hat, einwandfrei erscheinen. Aber, so wird sich der unbefangene Leser möglicherweise fragen, ist der Redakteur denn nicht in der Lage, einen fehlerfreien Text zu produzieren? Die Antwort lautet: ja und nein. Zwar steht er mit der Sprache – wie könnte es anders sein bei einem Vielschreiber, wie er es ist – auf vertrautem Fuß. Da er seine Texte aber immer unter dem Zeitdruck der Druckzeit verfassen muss, zudem die Schreibumgebung nicht dem stillen Kämmerlein zu Hause entspricht, schleichen sich doch immer Fehler in seine Texte ein – mal mehr, mal weniger, je nachdem. Auch der Computer, auf dem heute in aller Regel die Redakteure ihre Texte schreiben, wird zur Fehlerquelle. Da er es ihnen leicht macht, Sätze umzustellen, kommt es nicht selten vor, dass durch Umformulierung überflüssig gewordene Teile des Satzes am Bildschirm übersehen werden. Oder der Computer produziert infolge eines unzulänglichen Algorithmus unmögliche Worttrennungen am Zeilenende. So erfolgreich ein Silbentrennungsprogramm beim privaten PC zu Hause arbeitet, bei der Zeitung gibt's damit immer noch Probleme, die um so größer sind, jekleiner die Zeitungsspalten sind, in die die oft doch recht langen deutschen Wörter gezwängt werden. Da bleibt zum Austreiben der Zeile nicht viel Platz. In solchen Fällen bedarf es unbedingt noch der Kontrolle durch einen routinierten Nachleser, den Korrektor.
So haben denn auch die Korrektoren in den Redakteuren ihre größten Fürsprecher. Deren Verhältnis zu jenen ist jedoch ambivalent. Zwar wünschen sie sich, dass die Korrektoren die Fehler in ihren Texten finden, aber ebenso fürchten sie auch, dass sie unter ihren Händen Schaden nehmen könnten. Weil dies gelegentlich geschieht, sind die Redakteure nicht immer gut auf die Korrektoren zu sprechen. Sei es, dass sie ihre Texte, was leider – unbeabsichtigt – vorkommt, „verschlimmbessern", sei es, dass sie entgegen dem Wunsch der Redakteure auf einer dem Duden verpflichteten Schreibweise bestehen oder gar eigenmächtig, ohne sie rückzufragen, aber in bester Absicht, inhaltliche Korrekturen vornehmen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen und eine redaktionelle Entschuldigung beim Leser nach sich ziehen – der Fälle sind viele, wo Redakteure und Korrektoren aneinandergeraten, obwohl oder gerade weil beide das Gleiche wollen: dass die Texte formal und inhaltlich korrekt am nächsten Tag in der Zeitung stehen.
Nicht selten kommt es aber auch vor, dass ein Redakteur sich ausdrücklich für den Hinweis eines Korrektors auf einen sachlichen Fehler in seinem Artikel bedankt. Dem Korrektor ist das wie Balsam für seine Seele, sieht er sich doch dadurch als jemand bestätigt, der mehr ist als ein besserer Leseknecht. In der Tat ist seine Tätigkeit in den letzten Jahren anspruchsvoller und anstrengender geworden, besteht sie längst nicht mehr nur aus dem Vergleichen eines Manuskripts mit einem Ausdruck. Im Zeitalter der rechnergesteuerten Texterfassung und -bearbeitung ist es heute die Aufgabe des Korrektors, am Bildschirm und meist ohne Manuskript die Texte nicht allein auf ihre Syntax, Orthographie und Interpunktion zu prüfen, sondern wenn möglich auch noch inhaltliche Fehler zu entdecken. Wenn beispielsweise in einem Artikel über den Haushalt einer Landkreiskommune von Milliardenbeträgen die Rede ist, aber nur Millionenbeträge gemeint sein können, wenn in einem anderen bei mehreren Satzsubjekten das Prädikat im Singular steht, die Konjunktion „dass" mit dem Relativpronomen „das" und umgekehrt verwechselt wird oder auch die Syntax von kryptischer Qualität ist, sind die verantwortlichen Redakteure froh, wenn solche Fehler im Korrektorat nicht unbemerkt bleiben.
Das setzt allerdings hellwache, geistig bewegliche, mit allen Wassern der Sprache gewaschene Korrektoren voraus, die das tägliche Geschehen in Politik und Wirtschaft, Technik, Kultur und Sport verfolgen. Natürlich ist nicht jeder Korrektor auf jedem dieser Wissensgebiete gleichermaßen zu Hause, deshalb sind Arbeitsteilung und ein reger Informationsaustausch wichtig für die Effizienz des Korrektorats. So gesehen, dürften dessen Aufgaben auch nicht von elektronischen Korrekturprogrammen, für die schon die Korrektur komplexerer als Tastfehler häufig ein zu hohes Hindernis darstellt, in absehbarer Zeit übernommen werden können.
Die Korrektoren sind, das darf, ohne den Verdacht allzu großen Selbstlobs zu erregen, am Schluss gesagt werden, besser als ihr Ruf. Dass einige von ihnen ihre Abteilung mit dem falschen Wort „Korrektur" bezeichnen, ändert daran nichts. Denn es ist nicht durch Unkenntnis bedingt, sondern hat, wie man hört, traditionelle Gründe. Und wenn etwas traditionell falsch ist, ist es auch fast schon wieder richtig.
(Erschienen im „Darmstädter Echo“ am 21. 11. 1995)