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„Du tust mir leid“ – eine solche Bewertung eines Menschen verstehen wir als ablehnendes Urteil, obwohl das „leid tun“ Anteilnahme suggeriert. Deutlicher wird die negative Bewertung, wenn die Formulierung um die Wörter „nur noch“ erweitert wird: „Du tust mir nur noch leid“ – das lesen wir als ganz unverblümte Ablehnung der adressierten Person, obgleich in dieser Formulierung das Mitleid mit ihr doch mitzuschwingen scheint. Worin also besteht der Unterschied zwischen dem „Mitleid haben“ und „leid tun“ und worin zeigen sie ihrer sprachlichen Verwandtschaft entsprechend Verbindendes?

Wenn ich mit einem Menschen Mitleid habe, so will ich damit zum Ausdruck bringen, dass ich mich ihm emotional verbunden fühle und ihm in einer schwierigen Lebenssituation zu helfen bereit bin. In der Ethik Schopenhauers spielt das Mitleid eine zentrale Rolle, weil im Mitleid empfindenden Menschen zum Ausdruck komme, dass er ein moralisch handelndes Wesen ist. Der Mensch handelt also immer dann moralisch, wenn er im Mitmenschen ein Wesen erkennt, das seines Mitleids bedürftig ist. Schopenhauers ethischer Blick erfasst aber nicht nur den Menschen als mitleidsfähig und -bedürftig, sondern vor allem auch die Tiere, die von den Menschen als Nutztiere gehalten und systematisch getötet werden. Ihnen hilft nur der Mitleid empfindende Mensch, der im gepeinigten Tier das Leid so gut erkennt wie bei einem gepeinigten Menschen.

Mitleid haben mit einem Menschen oder auch einem Tier ist also eine zutiefst menschliche Reaktion auf ein ihnen zugefügtes Leid. Dagegen zeigt die Formulierung „Du tust mir nur noch leid“ die Distanz zum bemitleideten Menschen und nicht die Nähe zu dessen erlittenem Leid. Schlimmer noch: In ihr drückt sich auch eine Verachtung aus, die wir dem Mitleid erheischenden Menschen deshalb meinen entgegenbringen zu müssen, weil wir denken, dass er seine Selbstachtung verloren und deshalb unser Mitleid nicht mehr verdient hat. Wenn also ein Mensch uns leid tut oder nur noch leid tut und wir kein Mitleid mehr mit ihm empfinden, so zeigt sich in diesen verwandten Formulierungen, dass der Unterschied zwischen „Leid tun“ und „Mitleid haben“ doch einer ums Ganze ist. Der Mensch bedarf des Mitleids des Menschen in unbedingter Weise, also auch gerade dann, wenn er seine Selbstachtung verloren hat. Das ist der ethische Kern der Mitleidsfähigkeit.