Die Antwort lautet ganz klar: Nein! Auch wenn dabei das ureigene Wesen der Tiere verfehlt wird, weshalb Biologen darin den Sündenfall sehen, gibt es zum Anthropomorphismus keine Alternative, jedenfalls wenn es darum geht, dass wir Menschen den Tieren anders begegnen als bisher, dass wir sie nicht mehr nur als Objekte wahrnehmen, die wir nach Belieben gefangenhalten und funktionell ausbeuten können, sondern als zum Teil mit Bewusstsein ausgestattete, leidensfähige Wesen, die unseres Schutzes bedürfen.
Da wir nicht die gleiche Sprache wie die Tiere sprechen, uns also nicht direkt mit ihnen austauschen können, sind wir auf indirekte Kommunikation mit ihnen angewiesen, sollten wir in der Lage sein, Signale, die sie uns senden, verstehen zu können. Dabei hilft, wenn ich als Mensch mich in ihre jeweilige Lebenssituation hineinversetzen kann, mir vorstelle, wie es mir gehen würde, wenn ich das Tier wäre. Damit kann ich zwar niemals die Innenperspektive des Tieres erreichen, wie Thomas Nagel in seinem berühmten Essay „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ dargelegt hat. Aber durch den Anthropomorphismus vermag ich als Mensch Mitleid mit dem geschundenen Tier zu empfinden, das vielleicht gerade zur Schlachtbank geführt wird.
Dass wir Menschen zum Mitleid mit den von Menschen gepeinigten Tieren fähig sind, macht uns zu deren einzigen Anwälten und zu besseren Menschen. Der Anthropomorphismus nützt nichts, wenn es um die Frage geht, wie Tiere leben und wie sie ihre Lebensumgebung wahrnehmen. Verhaltensforscher versuchen deshalb so weit wie möglich, eine objektive Analyse tierischen Verhaltens ohne subjektive Gefühle durchzuführen. Diese sind aber unabdingbar, wenn es um das Leben der Tiere in Verbindung mit uns Menschen geht, ihren Schutz und eine artgerechte Haltung.
Mit seinen so genannten „Dinggedichten“ hat Rilke den von Menschen domestizierten Tieren eine Stimme und Bewusstsein gegeben. Sein wohl berühmtestes ist „Der Panther“, das mal wieder nachzulesen sich in diesem Zusammenhang unbedingt lohnt.
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf −. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille −
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris